
J.D. Vance hat seine erste Rede vor der Munich Security Conference genutzt, um klare Kante zu zeigen. Dabei hatte er weniger zu den Herausforderungen in anderen Regionen, Handelskonflikte oder die in den vergangenen vier Jahren künstlich gelegte Feindschaft zu Russland und China gesprochen, als zu den innereuropäischen Zuständen.
… und auch wenn wir glauben, dass es in den kommenden Jahren wichtig ist, dass Europa sich in erheblichem Maße für seine eigene Verteidigung einsetzt, so ist die Bedrohung, die mir in Bezug auf Europa am meisten Sorgen bereitet, nicht Russland, nicht China, nicht irgendein anderer externer Akteur. Was mir Sorgen bereitet, ist die Bedrohung von innen. Die Abkehr Europas von einigen seiner grundlegendsten Werte – von Werten, die es mit den Vereinigten Staaten von Amerika teilt.
Ich war erstaunt, dass ein ehemaliger EU-Kommissar kürzlich im Fernsehen verkündete, er sei hocherfreut darüber, dass die rumänische Regierung gerade eine ganze Wahl annulliert hatte. Er warnte, dass, wenn die Dinge nicht nach Plan verlaufen, genau dasselbe auch in Deutschland passieren könnte. … Alles, von unserer Ukraine-Politik bis hin zur digitalen Zensur, wird als Verteidigung der Demokratie ausgegeben. Aber wenn wir sehen, dass europäische Gerichte Wahlen annullieren und hochrangige Beamte damit drohen, andere Wahlen zu annullieren, sollten wir uns fragen, ob wir selbst einem ausreichend hohen Standard genügen. Und ich sage „wir“, weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir im selben Team spielen.
Welt online, February 15th 2025
Die Worte hatten es in sich und zielten direkt in das Selbstverständnis der europäischen Besserwisserei. Während die Politik in der Europäischen Union gerne mit einem erheblichen moralischem Impetus den Finger auf andere Staaten zeigt und sich selbst auf den Hügel de moralischen Erhabenheit stellt (auch gegenüber den USA und hier insbesondere derzeit gegen Donald Trump), spiegelte Vance nunmehr den Europäern zurück, dass bei ihnen selbst einiges im argen liegt von den Vorwürfen, die sie so gerne bei anderen zur Geltung verschaffen wollen.
Vance zielte hier bewusst nicht auf die AfD und die Ausgrenzung aus der politischen Diskussion – die „Brandmauer“ – ab. Vielmehr rekurierte er beispielsweise auf die Präsidentschaftswahlen, die noch im Dezember 2024 annulliert wurden mit dem Hinweis, auf angebliche russische Einflüsse zugunsten des siegreichen Underdogs. Nur kurze Zeit nach dem Spruch des Verfassungsgerichts in Bukarest stellte sich heraus, dass weder der Kandidat eine Beziehung zu Russland hatte noch die Einflussnahme auch nur annährend so stark war, wie dies aufgebauscht wurde. Die Annullierung erfolgte zwar nicht auf Anordnung der EU. Die europäische Politik, die einen zweiten Victor Orban mit allen Mitteln verhindern wollte und bereits in der Slowakei mit Robert Fico einen zweiten massiven Gegenspieler gegen das moralische Great Game in Brüssel aufkommen sieht, wollte dies in Rumänien durchaus verhindert sehen. Auch deshalb unterstützte sie hier die Regierungsparteien, die zuvor aufgrund der grassierenden Korruption im Lande noch auf dem europäischen Index stand, in dem Vorhaben, die Wahlen annullieren zu lassen und die Mehrheitswähler brüskiert.

Hier ist es immer eine Frage, ob man den Duktus von Vance teilt. Aber die Kritik selbst hat ihren wahren Kern, nachdem es zwischenzeitlich eine relativ geschlossene Einheitsfront gegen die scheinbaren Feinde von aussen gibt, die aus Sicht der europäischen Politik die globale Sicherheit gefährden, und dabei den eigenen Beitrag schlicht übersieht. Hier wird – man konnte dies nicht nur in Rumänien und der Slowakei, sondern auch zuletzt in Polen sehen – aktiv in die Innenpolitik eingegriffen und Wahlen beeiflusst, was jetzt Vance entgegenschalt als Abwehrreflex gegen diese Kritik von aussen. Vance rüttelt hier an Grundüberzeugungen, und wenn er von dem Fehler von „Brandmauern“ spricht, dann spricht er einen zentralen Punkt in der deutschen Politik an. Hier wird der inhaltliche Diskurs mit einer anderen Partei verweigert. Sicher, die AfD hat in weiten Teilen programmatische Sichtweisen entwickelt, die den Zusammenhalt in der Gesellschaft schädigen und die wirtschaftlich schlicht untragbar sind. Aber es gibt auch Schnittmengen, die die Debatte um Asyl und Integration zeigt – bis hinein in die SPD und die Grünen. Aber die Zustimmung wird allein deshalb verweigert, weil die AfD diese Sichtweise ebenfalls einnimmt.
Vance fordert die Europäer eigentlich zu nichts anderem auf, als zu ihren eigenen Werten zu stehen und sie zu verteidigen:
Aber wir werden dafür kämpfen, Ihr Recht zu verteidigen, auf dem Marktplatz der Öffentlichkeit Ihre Meinung zu äußern, einverstanden oder nicht.
Welt online, Februar 15th 2025
Insbesondere in Deutschland wurde dieser Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Aber anders als es richtig wäre – in sich zu gehen und die eigene Vorgehensweise einer kritischen Prüfung zu unterziehen – fühlte man sich ertappt und schoss aus vollen Kanonenrohren. Die Ikone der moralischen Überhöhung und Schreibtischkriegsheldin, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, zürnte seit der Rede auf allen Kanälen. Vollkommen unreflektierte reagierte sie aus Brüssel auf Vance, er solle sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern.
Auch der grüne Kanzlerkandidat, Robert Harbeck, reagierte mit aller Schärfe
Das, was Vance gestern gemacht hat, geht ihn nichts an. So klar muss man das sagen. It’s none of your business
Welt Online, February 15th 2025
und übersieht dabei, dass sich die deutsche Politik sehr munter und durchaus institutionell wie selbstverständlich in die Wahlprozesse anderer Länder einmischt und auch in die inneren Angelegenheiten. Harbeck scheint ihr zu vergessen, dass die deutsche Aussenministerin im vergangenen Jahr auf Staatskosten in die USA gereist ist und ganz klar Position zugunsten der Democrats bezogen hat. Der deutsche Wirtschaftsminister verstieg sich hier sogar darin, dass ein „neuer technologischer Geldadel und eine „Oligarchie“ entstanden sei, die „autoritär-revolutionär“ gegen die EU agitiere. Die deutsche Politik war sich einig: Vance hatte in unzulässiger Weise die europäische politische Klasse diskreditiert – sie fühlte sich ertappt.
Europäische Verantwortung für die eigene Sicherheit
Dabei geriet schnell in Vergessenheit, dass einen Tag vorher der Verteidigungsminister Peter Hegsath den Europäern einen Tag zuvor bereits die bittere Pille verabreicht hat, dass ihre Sicherheit nicht mehr allein von den USA garantiert wird, sondern ein signifikanter Beitrag von den europäischen Staaten zu leisten ist. Von den europäischen Nato-Staaten wurde bereits dies als Aufkündigung der transatlantischen Partnerschaft gesehen in Verkennung der Tatsache, dass Hegsath vielleicht deutlicher wurde, aber dies bereits ein Grundsatz der U.S.-Politik seit Bill Clinton war.
Wohl auch dies hatte einen Tag später den Zorn von Strack-Zimmermann hervorgerufen, denn Hegsath hatte hier auch die Sicherheitsgarantien für die Ukraine eingeschlossen. Bislang hat man in Berlin, Paris und anderswo sich darauf zurückgezogen, ein paar nicht mehr benötigte Waffen zu liefern und Ausfuhrgenehmigungen zu erteilen. An eine Nachkriegsordnung hatte die europäische Politik nicht gedacht, noch weniger an einen eigenen Beitrag für eine Sicherheitsgarantie.
Hegsath, in Übereinstimmung mit U.S.-Präsident Donald Trump, holt die europäische Sicherheitspolitik aus der Komfortzone. Denn bereits als 2015 wäre eine Sicherheitsgarantie für die Minsker Verträge notwendig geworden auch im Herbst 2021 hätte wohl durch eine robuste Garantie der Nato und EU ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine verhindert werden können. Die EU war aber nicht dazu bereit und hat auch bei der Unterstützung eines raschen EU-Beitrages gesehen, dass damit eine Sicherheitsgarantie verbunden gewesen wäre, die aufgrund des Nato-Vertrages einen sofortigen Bündnisfall ausgelöst hätte.
Hegsath hat hier bereits die transatlantischen Verbindungen komplett durcheinander gewirbelt. Und obwohl bereits Bill Clinton in diese Richtung marschierte und mit Ausnahme des alt-gedankenverlorenen Joe Biden durch alle seine Nachfolger fortgesetzt wurde, hatten die Europäer eine eigene strategische Antwort hierauf schlicht vergessen. Auch deshalb war der Schock und das Entsetzen so gewaltig. Europa hatte sich immer darauf verlassen, dass die USA weiterhin die Rolle des Weltpolizisten wahrnehmen in arroganter Ignoranz der deutlichen Anzeichen.