
Am 24. Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine. Dies ist der Fakt und mit dem Überfall hat der grosse Nachbar der auch recht grossen Ukraine gegen Völkerrecht verstossen. Damit enden die Fakten nahezu auch. Über drei Jahre wurde dieser Krieg laufen gelassen und mit Maximalforderungen eine rasche, lösungsorientierte Beendigung von beiden Seiten verhindert. Dabei ist auch das politische System in Kiew zusammengebrochen und es wurden vermeintliche oder echte Russlandfreunde aus der Politik verbannt und ihr Eigentum konfisziert.
Der neue U.S.-Präsident hat anders als die Schreibtischkriegshelden in Europa nunmehr auflaufen lassen. Und es lohnt ein Blick auf die Entwicklungen und die Fehlannahmen der letzten Jahre.
Wer ist schuld?
Der Schuldige für den Überfall war 2022 schnell ausgemacht: Putin und Russland. Es brach eine nahezu in der bundesrepublikanischen Zeit beispiellose Welle des Russenhasses herein. Was die Politik und die veröffentliche Meinung nicht sonderlich interessierte, waren jedoch die Ursache und auch den Beitrag der Ukraine, der zu dem Konflikt zwischen den beiden Nationen beigetragen hat.
Dem Krieg vorausgegangen ist eine lange Entfremdung zwischen Russland und der Nato auf der einen Seite und einer fortwährenden Auseinandersetzung zwischen den politischen Kräften in der Ukraine. Die Nato-Staaten haben sich in den letzten 20 Jahren kaum für die Interessen Russlands interessiert. Vielmehr haben sie mit relativ hoher Brutalität und ohne Russland auch nur zu konsultieren vor vollendete Tatsachen der Ausbreitung des eigenen Wirkungsraumes gestellt.
Dabei wurden die Vereinbarungen, die in den 2+4-Gesprächen getroffen wurden und die auch eine Sicherheitsarchitektur zum Inhalt hatten, über den Tisch geworfen. Hier war nicht nur vereinbart worden, dass die Möglichkeiten der OSZE als zivile Konfliktlösung und des Europarates als Menschenrechtsinstitution etabliert wurden. Hier war insbesondere auch über die Ausweitung der Nato gesprochen und ein Konsultationsmechanismus etabliert worden. Die Architektur hatte funktioniert und auch global zahlreiche Konflikte gelöst. Insbesondere Russland hatte sich auch in seinem unmittelbaren Umfeld an die Regelungen gehalten – anders als beispielsweise die USA und die Nato, die im Iraq und im Kosovo ohne die notwendigen Rechtsvorgänge vorgegangen sind und diese auch nicht einmal versucht haben, einzuschalten. Russland hat hier zähneknirchend im Interesse der Gesamtarchitektur still gehalten, obwohl beispielsweise im Kosovo mit Serbien ein enger Verbündete betroffen war.
Die Nato hat aber auch, ohne den Konsultationsmechanismus zu bedienen, ihr Mandatsgebiet über die ehemalige Ost-West-Grenze und entgegen den bisherigen Absprachen erweitert. Gleichzeitig wurde die Stabilisierung des eigenen Einflussbereiches insbesondere im Kaukasus und in Zentralasien kritisiert und als illegitim gebrandmarkt. Die doppelten Standards waren ein zunehmendes Ärgernis, welches mit dafür gesorgt hat, dass Russland Vertrauen in die Absprachen mit der Nato zunehmend erschüttert wurden. Es baute auch auf eine eigene Sicherheitsarchitektur insbesondere in Asien und etablierte gemeinsam mit Asien eine Gegenstruktur, beispielsweise mit der Shanghai-Organisation oder den BRICS-Staaten.
In der Frage der Ukraine war die drohende Nato-Erweiterung und insbesondere die Einmischung der westlichen Staaten jedoch überlagert von einem innerukrainischen Konflikt: den Gegensatz zwischen den pro-europäischen im Westen des Landes und den pro-russischen Kräften im industriellen Osten des Landes. Die Kiewer Regierung versuchte dabei, den Donsbas mit seinen Erzvorkommen und dem industriellen Gürtel unter seine Kontrolle zu bekommen, ohne die Interessen der grösstenteils russischsprachigen und russophilen Bevölkerung zu berücksichtigen. Diese wollte keinen Beitritt zur EU, sondern suche einen Ausgleich zu finden mit Russland. Mehr noch: sie lehnte die durchaus russophoben Sichtweise in Kiew ab.
In den europäischen Medien wurde von diesem innerukrainischen Konflikt so gut wie keine Kenntnis genommen. Dargestellt wurden lediglich die Machtkämpfe in Kiew, die Einflussnahme der Oligarchen aus dem Donbas und der dahinter liegende Einfluss Russlands (der weit übertrieben dargestellt wurde). Dass die Gründung der unabhängigen Republiken Luhansk und Donezk auch von Kiew provoziert worden waren, spielte hier keine Rolle. Und als 2014 auf dem Kiewer Majdan Square pro-europäische Stimmen in der Mehrheit waren, bildete dies in den westlichen Staaten die ukrainische Stimmung in der Bevölkerung. Die Darstellung war verzerrt und Russland auch in der Berichterstattung über die folgenden Minsker Abkommen als der Aggressor gestempelt. Was dabei unterging: die westlichen Staaten hatten hier sehr aktiv in die innerukrainische Auseinandersetzung gegen die demokratisch legitimierte, jedoch pro-russisch agierende Regierung eingegriffen.
Ähnlich lief dies in der Auseinandersetzung um die Krim: Auch hier versuchte die ukrainische Regierung in Kiew eine Ukrainisierung der mehrheitlich russischsprachigen Bevölkerung. Dabei ging es diesen weniger um die Unabhängigkeit oder die Zugehörigkeit zu Russland, als vielmehr um die Wahrung ihrer kulturellen Rechte. Russland war hier deshalb anfangs gar nicht involviert und förderte später in erster Linie lediglich noch die russischsprachige Mehrheitsbevölkerung – eine Politik, die Deutschland in vielen Staaten mit einer deutschsprachigen Minderheit unternimmt. Erst mit einer zunehmenden Verschärfung des Konflikts zwischen der Krim und der Zentralregierung in Kiew wurde Russland selbst offensiver und förderte nach der Abspaltung der Krim von der Ukraine eine Volksbefragung, die zu seinen Gunsten ausging. Auch wenn sie nicht ganz frei von unzulässigen Eingriffen war, die Ukraine war eingeladen sich zu beteiligen (was diese ablehnte) und das Ergebnis entsprach der Stimmung der Bevölkerung.
Die Minsker Abkommen von 2014 und 2015 sollten die Konflikte zwischen der ukrainischen Mehrheitsbevölkerung und der russischen Minderheit befriedigen. Nur: daran gehalten haben sich beide Seiten nie wirklich. Die ukrainische Zentralregierung ging mit rigoroser Gewalt gegen potenzielle Abspaltversuche vor und im Majdan wurde gleichzeitig das Sprachgesetz aufgehoben, welches Russisch als regionale Amtssprache beispielsweise zuliess. Russland unterstützte die russischen Bewegungen im Donbas. Die Abkommen von Minsk, zustande gekommen auf Initiative Deutschlands und Frankreichs, liessen den Konflikt erkalten, lösten ihn jedoch nicht. Einerseits, weil die beiden Garantiemächte nie eine unabhängige Position einnahmen. Andererseits, weil weder die ukrainisch Zentralregierung noch die Regionalmachthaber oder Russland dies wirklich wollten. Und auch Selensky, ein ukrainischer Nationalist, der gegen das Establishment an die Macht gekommen war und sein Programm insbesondere der Korruptionsbekämpfung nie umgesetzt hatte, liess den Konflikt köcheln.
Die Ursachen des Krieges sind deutlich vielschichtiger als sie in den westlichen Medien darzustellen gepflegt werden. Und sie relativieren das Narrative des russischen Aggressors. Sie relativieren auch die Erklärung und die Forderungen, die der russische Präsident im Vorfeld und zu Beginn des Krieges abgegeben hat. Diese hat wohl eher die russische Bevölkerung zum Ziel als die internationale Öffentlichkeit. Und die Konflikte und die Ursachenanalyse rechtfertigt auch keinen Krieg. Russland hatte hier jedoch Vorbilder: im Kosovo und im Iraq, ebenso wie der Einsatz der USA zur Ermordung von Osama bin Laden.
Aber: der Konflikt hat sich lange aufgeschaukelt und wurde auch durch die wenig lösungsorientierte einseitige westliche Haltung beruhigt. Im Gegenteil, haben sie seit der Jahrtausendwende Russland immer wieder provoziert und sind durchaus Vorbild für Russlands Vorgehen in der Ukraine.
Gleichzeitig hätten die westlichen Staaten den Krieg allein dadurch verhindern können, dass sie eine robuste Sicherheitsgarantie abgegeben hätten, die auch die Einsatzoption der Nato-Truppen zum Inhalt gehabt hätte. Kiew wäre wohl damit einverstanden und anders als im Kosovo wäre man so auch völkerrechtlich auf sicherem Terrain gewesen. Putin und seinen Militärs ist bewusst, dass es gegen die Truppen der Nato relativ schnell den Kürzeren gezogen hätte und wäre auf andere Lösungen ausgewichen. Dass s im Westen als Paria dargestellt würde, hat man wissend in Kauf genommen – auch mit der berechtigten Annahme, im Rest der Welt über genügend Freunde zu verfügen.
Selensky´s fehlgeleitete Strategie
Selensky hat drei grundsätzliche Fehler gemacht:
- er hat die Politik seiner Vorgänger fortgesetzt, allein auf die europäische Karte zu setzen und die russophile Bevölkerung im Osten zu ignorieren,
- trotz einer erdenklich schlechten Position auf ein kompromislose Maximalforderung zu bestehen und
- die westliche Unterstützung als bedingungsfrei anzusehen.
Das Minsker Abkommen von 2014 sollte einen Ausgleich zwischen den politischen Gruppierungen in Minsk und den ukrainischen Ostgebieten ermöglichen. Bereits zu diesem Zeitpunkt ging es um die Autonomie des russischsprachen Ostens innerhalb des ukrainischen Staatsverband, die jedoch auch von den Regierungen in Kiew nicht umgesetzt wurde. Kiew setzte darauf, dass es seine Verpflichtungen nicht umsetzen musste. Dabei hatten die pro-europäischen Kräfte insbesondere bei den Majdan-Protesten 2013 den Eindruck gewonnen, dass europäischen Staaten hier eher auf der Seite der Kiewer Position stand und damit ein Eingehen auf die Forderungen der ostukrainischen Bevölkerung folgenfrei nicht erforderlich ist.
Selensky, der gegen das ukrainische Establishment ins Amt gekommen war, war im Kern ein ukrainischer Nationalist, der sich klar gegen Russland positionierte und damit auch gegen die Bevölkerung im Donbas. Er war nicht bereit, die Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen zu erfüllen und auch auf einen Ausgleich zwischen den Interessen der Bevölkerungsgruppen hinzuwirken. Bis zum Februar 2022 war hier seine Popularität bereits zu weit gefallen. Dies lag ganz entscheidend an den Umständen seiner Wahl: Selensky war in den Präsidentschaftswahlen 2019 nicht für etwas eingetreten, sondern wurde gegen das Establishment gewählt. Ihm fehlte damit für eine wirksame Politik einerseits ein strategisch ausgerichtetes Programm wie auch die Unterstützung im Kiewer Parlament. Wollte Selensky damit einigermassen mit einem Ansehen in Erinnerung bleiben, musste er Krisenmanagement betreiben und durfte das politische Establishment nicht dadurch verärgern, dass er auf die Forderungen der russischen Minderheit einging.
Selensky provozierte damit die weitere Zuspitzung des inner-ukrainischen Kampfes. Die EU hatte sich nach den Majdan-Protesten und dem Minsker Abkommen in seiner Aufmerksamkeit wieder von der Ukraine abgewandt, und ein EU- wie Nato-Beitritt war durch ein Veto der deutschen und französischen Regierung in weitere Ferne gerückt. Mit den Panama-Papers war Selensky zudem selbst kompromittiert worden, so dass er als Gesprächspartner weitgehend ausfiel.
Die Position Selensky´s zu einer Beendigung des Krieges änderten sich seit dem 24. Februar 2022 nicht und hatten unerreichbare Maximalforderungen zum Inhalt. Selensky lehnte Verhandlungen dabei faktisch ab, und erkannte den russischen Präsidenten, denn er als Killer bezeichnete, nicht als Gesprächspartner an. Selensky agierte scheinbar aus einer Position der Stärke heraus, die er jedoch nicht besass und es war offensichtlich, dass er diese Forderungen zu keinem Zeitpunkt durchsetzen konnte. Hier setzte sich auch seine Haltung fort, dass die Forderungen der ostukrainischen Bevölkerung ignoriert werden konnten. Aus seiner Sicht hatten diese durch ihre russische Unterstützung diskreditieren lassen und brandmarkte diese als Feinde der Ukraine. In diesem Zusammenhang fiel auch sein Befolgungsdrang gegen deren Führer, die in Kiew agierten.
Bereits die Weigerung für Gespräche mit Putin folgte jedoch der fatalen Fehleinschätzung, dass Putin in Russland keine Mehrheit hatte. Doch obwohl die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Russland nicht frei von Fälschung war, besass Putin in der Bevölkerung über einen Rückhalt von mehr als drei Vierteln der Bevölkerung. Diese kreditierte Putin immer noch, dass er die nahezu rechtsfreien Zustände der 1990er Jahre beendet und Russland wieder in die internationale Politik zurückgeführt hatte. Selensky ignorierte diese Realität und sah Putin auch auf internationalem Parket diskreditiert. Auch hier unterlag er jedoch einer grundlegenden Fehleinschätzung, denn diese war lediglich bei den westlichen Politikern vorhanden. Putin und seine Führungsmannschaft konnten mit den BRICS-Staaten sowie anderen Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika ihre Beziehungen weiter ausbauen, was auch an einer recht insistenten und diskreditierten Haltung der europäischen Staaten in diesen Regionen lag. Selensky ficht mit seiner kompromissfreien Haltung gegenüber Putin auch einen persönlichen Feldzug aus und schränkte seine Optionen damit ein.
Neben der Ablehnung von Putin als Gesprächspartner forderte Selensky dabei nicht nur den vollständigen Rückzug Russlands einschliesslich der Krim, sondern auch Reparationszahlungen, die Zuweisung des russischen Auslandsvermögens an die Ukraine sowie die ultimative Aufnahme der Ukraine in die EU und die Nato. Ergänzend sollte Russland dauerhaft einer internationalen Kontrolle unterworfen werden und damit faktisch seine Souveränität verlieren. Gleichzeitig ersuchte er beispielsweise die schweizerische Regierung um die Durchführung einer als „Friedenskonferenz“ titulierten Zusammenkunft, bei der Russland ausdrücklich nicht eingeladen war.
Selensky muss hier bewusst gewesen sein, dass diese Forderungen und sein Vorgehen eher wenig zielorientiert ist, sollten sie zum Frieden führen sollen. Sie waren wohl eher dazu geeignet, Russland zu provozieren und zu isolieren, wobei Selensky nicht erkannte, dass eine Isolation der Moskauer Regierung bereits frühzeitig gescheitert war.
Selensky hatte aus den Erfahrungen um den Majdan und die ihm bekannte anti-russische Haltung immer daraufgesetzt, dass ihn die europäischen Staaten und die USA nahezu bedingungslos unterstützen. Die ersten Einlassungen unmittelbar nach dem Kriegsbeginn bestärkten Selensky in dieser fehlgeleiteten Annahme. Die EU und die USA verhängten schnell Sanktionen gegen Russland und zahlreiche Zivilpersonen und auch die Zerstörung der beiden Pipelines North Stream I und North Stream II durch ukrainische Agenten wurde nicht der Ukraine angelastet – die passte zu den Zielrichtungen, die russische Wirtschaft zu zerstören. Zudem nahmen die europäischen Staaten auch einen Grossteil der ukrainischen Bevölkerung als Flüchtlinge auf, versorgten diese und entlasteten damit den ukrainischen Staat.
Was ihm jedoch fehlte war eine unmittelbare Unterstützung durch Nato-Truppen. Selensky wusste an dieser Stelle, dass seine eigene Armee nur unzureichend ausgerüstet war und bereits früh war klar, dass die ukrainische Armee den russischen Truppen nur sehr eingeschränkt Paroli bieten konnte. Wie bereits im Vorfeld des Konfliktes waren die Nato-Staaten – anders als im Kosovo oder Bosnien-Herzegowina – wurde Selensky hier jedoch enttäuscht, denn hierzu waren die Nato-Staaten nicht bereit. Offizielle ging es um einen direkten Konflikt mit Russland, genau diese Begründung war jedoch an den Jahren herbeigezogen. Dabei half Selensky, dass beispielsweise ein Andrij Melnyk als ukrainischer Botschafter in Deutschland relativ ungestraft sich in die deutsche Politik einmischen konnte und hierbei auch nicht vor übelsten Beleidigungen der deutschen Politik zurückschrecken musste. Selensky, wie auch seine Schergen in den ukrainischen Auslandsvertretungen konnten Forderungen an die westlichen Staaten richten, ohne dass hier auch nur einmal versucht wurde, diesen Einhalt zu gebieten und zurechtzurücken.
Durch die anfängliche nahezu euphorische Unterstützung, die sich mit eine russo- und sinofeindlichen Tendenzen verband, wurde Selensky in dem Glauben gelassen, die Unterstützung dauerte ewig an und würde nicht nachlassen. Die westlichen Staaten liessen Selensky auch in dem Glauben, dass er über einen Frieden bestimmen und die Bedingungen setzen könne. Hier half ihm, dass die EU und die USA unter Joe Biden Initiativen beispielsweise von Brasilien und China immer wieder zurückwiesen mit dem fragwürdigen Hinweis, beide Staaten würden eher auf russischer Seite stehen und nicht einen neutralen Ausgleich suchen.
Selensky kalkulierte nicht in seine Rechnung ein, dass die Unterstützung – politisch wie finanziell – nicht unendlich sei. Er setzte hier ausschliesslich auf die Regierenden, ohne einerseits die Stimmung in den Bevölkerungen wie auch eine Änderung in den Mehrheitsverhältnissen einzukalkulieren. Bereits die Verteilung der finanziellen Unterstützung hätte Selensky jedoch aufhorchen lassen müssen, denn den relativ grosszügigen Leistungen aus den USA und Deutschlands standen vergleichsweise geringe Unterstützungswerte der anderen grossen Staaten wie Frankreich oder Grossbritannien entgegen. Diese stimmten zwar für Sanktionen, aber – und auch dies übersah der ukrainische Präsident und seine Entourage – in einem Feld, welches der eigenen Wirtschaft relativ wenig anhaben konnte. Weder Russland noch die Ukraine spielte hier als Handelspartner eine bedeutende Rolle.
Anders in Deutschland, welches einen Hauptteil der ukrainischen Flüchtlinge aufnahm und enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland hatte. Sprunghafte Steigerungen bei den Energiepreisen wie auch im gesamten Preisniveau waren die Folge, und obwohl sorgten dafür, dass die Stimmung schnell kippte. Das BSW, welches eine noch kritischere Position als die AfD einnahm, hatte einen massiven Zulauf und errang 2024 in Wahlen deutliche Erfolge – ebenso wie die AfD.
Sowohl in den USA wie in Deutschland sah Selensky einen Wechsel in der Stimmung und der Politik nicht, so dass die Regierung in Kiew auf die Regierungswechsel in Washington und Berlin nur unzureichend vorbereitet war. Auch wenn in Deutschland Friedrich Merz keine grundlegende Abweichung in der Ukraine-Politik vorzunehmen bereit ist, sprach er sich beispielsweise für eine Kürzung der Leistungen an ukrainische Flüchtlinge aus und nahm auch ein wesentlich differenziertere Haltung ein, was eine Friedensregelung ein: eine unendliche Unterstützung wird es mit Merz nicht geben und er ist auch bereit, stärker auf eine Friedensregelung hinzuwirken, auch wenn dies für die Ukraine nicht überall in der Wiederherstellung des status quo endet.
Der Wechsel in Washington D.C. war hingegen noch kritischer und Selensky´s Besuch am 28. Februar 2025 war für ihn ein Schock, dem er nichts entgegensetzen konnte. Selensky´s Politik war gescheitert, weil sie durch die Kraft des Faktischen zurecht gerückt wurde.
Die Machtansprüche der EU
Man kann die berechtigte Frage stellen: Welche Interessen hat die EU oder ihre Mitgliedsstaaten in der Ukraine? Diese Frage ist nicht wirklich zu beantworten, seitdem die strategischen Köpfe der europäischen Entwicklung – Blair, Genscher, Kohl, Mitterrand und Chirac – abgetreten sind.
Die europäischen Staaten haben sich mit Beginn des Krieges in der Ukraine in eine nahezu ausweglose Lage gebracht, die durch den Regierungswechsel in Washington noch einmal verstärkt und sichtbarer wurde. Sie haben relativ planlos die sowohl mit Russland wie der Ukraine in den 1990er Jahren geschaffenen Institutionen des Austausches und Dialogs nicht mehr weitergeführt. Russland wurde massgeblich auf Betreiben der EU aus den G8-Gesprächen ausgeschlossen und gleichzeitig im Energiesektor eine starke Abhängigkeit von Gaslieferungen erreicht. Der Ausgangspunkt, und dies muss Selensky und die Ukraine eigentlich schmerzen, ist Russland als entscheidende Determinante der Beziehungen der EU-Staaten zu Russland. Und hier gibt es gravierende Unterschiede:
- Die baltischen Staaten und Polen setzen auf eine Abgrenzung zu Russland vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen. Sie sehen in Russland (und Belarus) in erster Linie eine Gefahr für die eigene Unabhängigkeit und die Ukraine als Pufferstaat dazwischen. Die Unterstützung für Selensky und Kiew ist daher weniger als Unterstützung, sondern vielmehr als Abgrenzung zu verstehen. Dies ist eine sehr opportunistische Haltung, die sich durch entsprechende Vereinbarungen oder eine Änderung der Beziehungslage zu Russland rasch drehen kann.
- Die anderen osteuropäischen Staaten haben eine sehr viel ambivalentere Beziehung zu Russland. Die Slowakei und Ungarn sind eher russlandfreundlich, auch weil sie enge wirtschaftliche Beziehungen dahin unterhalten und diese weit weniger substituierbar sind. Hier spielt aber auch eine Rolle, dass beide Regierungen innerhalb der EU sehr viel Gegenpole haben, so dass ihnen die Positionierung zu Russland eine Machtposition innerhalb der EU gibt, die als ungerechtfertig angesehene Kritik aus Brüssel zu parlieren.
Rumänien hat dagegen mit seinem Nachbarn und engen Bruderstaat Moldova ein sehr viel gravierenderes Problem. Das Land ist geteilt und besitzt bis heute in Transnistrien eine starke russische Truppenpräsenz mit einem ungelösten Territorialkonflikt. Rumänien unterstützt die Regierung in Chisinau, ist jedoch gleichzeitig von russischen Energielieferungen abhängig. - Deutschland hat ein vitales Interesse an guten Beziehungen zu Russland. Traditionell ist es der Ankerpunkt zwischen Ost und West und hat zuletzt unter Kohl und Genscher die Beziehungen zur Russland und der Ukraine nicht nur von deutscher, sondern auch von europäischer Seite geprägt. Es hat(te) enge wirtschaftliche Beziehungen und bezog einen hohen Anteil seiner Energie aus Sibirien.
Die Beziehung war hier durchaus auf Gegenseitigkeit ausgelegt, den sie bezogen sich auch auf eine enge Abstimmung im politischen Bereich. Putin wurde als einem der wenigsten Staatschefs die Ehre zuteil, 2001 im Bundestag zu sprechen und als Zeichen der Dankbarkeit sprach er in Deutsch. Angela Merkel setzte jedoch die Aufgeschlossenheit unter Kohl und Schröder nicht fort und in ihrer Beschreibung der Gespräche zu Majdan und den Minsker Abkommen wird das zwischenzeitlich frostige Verhältnis und gegenseitige Misstrauen mehr als deutlich. Dazu beigetragen hatte auch das deutsche Verständnis, die Ukraine zwar nicht in die Nato zu lassen, aber durchaus einen Weg in die EU zu suchen und gleichzeitig alle Konflikte in der Ukraine Russland anzulasten. Die EU und Deutschland an vorderster Front mischten sich massiv in die ukrainische Innenpolitik ein, was auch Moskau nicht verborgen blieb und auf Seiten der ostukrainischen Führung kein Vertrauen in die Minsker Vereinbarungen erwachsen liess. - Die anderen EU-Staaten standen dem russisch-ukrainischen Gegensatz eher entspannt gegenüber. Frankreich, als Teil des Normandie-Formats, folgte hier seinem eigenen Grossmachtanspruch und überliess die Initiative jedoch weitgehend der deutschen Regierung. Und die EU-Kommission selbst war weitgehend teilnahmslos, was auch an dem fehlenden Beitrittsstatus der Ukraine lag und sie somit auch kein Mandat hatte. Die Östliche Partnerschaft war weitgehend tot und spielte deshalb für EU-Kommission nur noch auf dem Papier eine Rolle. Deutschland war und ist bis heute der entscheidende Akteur, der auch finanziell bis heute die Hauptlast in der Ukraine und dem faktischen Abbruch der Beziehungen zu Russland trägt.
Die Positionierung gegenüber der Ukraine folgte deshalb in erster Linie in Folge der Positionierung gegenüber Russland. Dieses Schicksal traf auch die Staaten des Kaukasus und Moldova. In allen diesen Staaten versuchte man sich massiv in die Innenpolitik einzumischen, um eine Positionierung zugunsten der EU herzustellen – eine Rolle, die man jedoch gleichzeitig Russland nicht zusprach und die logischer Weise zu einer Verschärfung des Konfliktes zwischen beiden Seiten führte. Der Korridor südlich des Belarus wurde so zum Battlefield eines sich verschärfenden neuen Ost-West-Konfliktes.
Diesen Weg kann man gehen. Das Problem daran war jedoch: Die EU mit Deutschland an zentraler Position schlitterte hier in einen Konflikt hinein, bei dem man keine klare Zielrichtung hatte und der aufgrund der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zudem asymmetrisch geführt wurde. Russland, dies wird dabei jedoch auch immer übersehen, hatte das Gas nie als Waffe eingesetzt und ist hier eine Tradition aus der Sowjetzeit gefolgt. Nicht ohne Eigennutz, denn es war auf die Einnahmen auch angewiesen.
Die fehlende Zielrichtung bedeutete aber, dass niemand wirklich sagen konnte, was am Ende eigentlich erreicht werden sollte. Russland nutzte dieses Vakuum, um nicht nur sich im früheren sowjetischen Binnenraum zu festigen. Die fehlende Ausrichtung der EU führte vielmehr dazu, dass Moskau auf andere Akteure auswich und somit eine eigene Position schärfte. Beijing wurde ein enger Verbündeter und mit ihm wurde die Rolle der BRICS weiter ausgebaut. Die Shanghai-Organisation sicherte zudem den Einfluss, gemeinsam mit China, auf die fernöstlichen und südostasiatischen Staaten und bilateral wurden die Beziehungen zu Pakistan und dem Iran ausgebaut. Und an dieser Stelle verknüpfen sich Linien, die eine inhärente europäische Politik lose erscheinen liess: Iran war nach der Aufkündigung des Atomabkommens durch Präsident Trump, dem die EU nichts entgegenzusetzen hatte, eine offene Flanke, die leicht durch ein gemeinsames Vorgehen von Russland und China gefüllt werden konnte. Und China wurde zunehmend ebenfalls als Paria-Staat angesehen, so dass Moskau wie Beijing in einem gemeinsamen Vorgehen vorallem Vorteile sahen und sehen.
Nach dem Europäischen Schockwochenende der Münchner Sicherheitskonferenz 2025 versuchte die EU in einer eiligen Reaktion dieses Manko aufzuholen und scheiterte. Ein weiterer Versuch, diesmal unter Einschluss Grossbritanniens, nach dem Eklat zwischen Trump und Selensky im White House am 28. Februar 2025, sollte eine Friedensregelung ausarbeiten. Die Reaktionen haben jedoch einen wesentlichen Pferdefuss: sie sind reaktiv und getrieben von einer Änderung der U.S.-Politik, und sie folgen damit nicht einem aktivierenden Handeln und einer eigenen strategischen Ausrichtung. Und sie sind nicht darauf ausgerichtet, eine eigene Agenda zu entwickeln, sondern am Ende gegen die USA und deren strategischen Neuausrichtung gerichtet. Und es krankt hier auch daran, dass die grösste Macht nur noch am Katzentisch zu sehen ist, weil sie mehr mit ihren internen Problemen beschäftigt ist und deshalb international keine Rolle spielt.
Die USA unter Donald Trump und das Verhältnis zur Ukraine
Während Joe Biden weitgehend in eine Richtung mit den europäischen Staaten ging, zeichnete sich bereits in den Präsidentschaftswahlen ab, dass Donald Trump eine weniger ukrainefreundliche Position einnahm und auf eine schnelle Friedensregelung setzte. Er wurde hier belächelt, da man seine Aussage in 24 Stunden den Krieg zu beenden als Übertreibung wahrnahm und bis zum Wahltag zudem die Hoffnung aufrechterhalten wurde, dass Kamila Haris die Wahlen gewinnt. Ein Szenario, nicht nur in Bezug auf die Ukraine, was ein Wahlsieg von Trump bedeuten würde, existierte schlicht nicht. Weder bei den europäischen Regierungen noch in Selensky´s Regierung.
Trump hatte doch bereits im Wahlkampf deutlich gemacht, dass er einerseits die USA nicht mehr in der weltweiten Verantwortung für Krieg und Frieden sieht und seine internationale Politik eher in dem Sinne orientiert, dass betriebswirtschaftliche Massstäbe anzulegen sind. In diesem Sinne konnte die bisherige Ukraine-Politik der USA nicht mithalten und ein schnelles Ende des Konfliktes war für Trump eine unerlässliche Maxime. Die 24 Stunden-Einlassung war hier zwar eine typsische Trumpsche Übertreibung. Dahinter stand aber ein Konzept des Gebens und Nehmens in einer vertraglichen Vereinbarung. Selensky´s Maximalforderungen standen dem eher im Wege, da sie auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu Putin und Russland nicht unterstützten. Darüber konnte auch das aussenpolitische Team nicht hinwegtäuschen, welches sich bislang eher ukrainischefreundlich gezeigt hatte: der Dealmaker war Trump und dem würden sich auch Rubio und Kellogg fügen. Hier wurde auch übersehen, dass insbesondere Kellogg bereits im Frühjahr 2024 in einem Beitrag für das AFPI deutlich gemacht hatte, dass die Maximalforderungen von Selensky gar nicht umsetzbar sind und auch für ihn Trumps America First-Maxime an oberster Stelle stehen.
Donald Trump hat mit seinem Amtsantritt erstmals deshalb den Gesprächsfaden zu Russland wieder aufgenommen, nachdem die vorhergehenden Versuche einer Befriedung des Konfliktes durch Brasilien und China noch durch die USA und die EU obstruiert wurden. Wie bei vielem, was Trump vorantreibt, kann man über die Form streiten – aber eben nicht über die Zielrichtung. Es hätte hier bereits eine Warnung sein müssen, dass Trump zuerst mit Putin telephonierte und erst dann, eher pflichtschuldig, Selensky anrief. Recht schnell macht der U.S.-Präsident deutlich, dass er die weitere (finanzielle) Unterstützung der Ukraine von Gegenleistungen abhängig machen würde, und hier auf die Bodenschätze abzielte. Trump verfolgt hier zwei wirtschaftliche Ziele: neben der finanziellen Komponente ging es ihm um die exklusive Sicherung der Seltenen Erden, die für Zukunftstechnologien unerlässlich sind. Er wollte hier sich auch einen Vorsprung gegenüber anderen Staaten verschaffen.
Sicherheitsgarantien, wie Selensky sie zu Recht einforderte, waren in diesem Deal nicht enthalten. Trump würde in einem solchen Automatismus seine eigene Handlungsfreiheit eingeschränkt sehen und argumentierte auch deshalb, dass durch die wirtschaftlichen Interessen die Sicherheit der Ukraine hinreichend geschützt wären. Solange die USA auf die wirtschaftliche Ausbeutung angewiesen sind, stimmte diese Argumentation auch. Denn in diesem Fall verteidigten die USA die eigenen Wirtschaftsinteressen. In Trumps Verständnis unterliegen diese jedoch einem beständigen Wandel und er war nicht bereit, langfristige Verpflichtungen einzugehen. Hier war ihm auch Afghanistan und der Iraq ein warnendes Vorbild, die über mehr als zwei Jahrzehnte erhebliche Mittel der USA gebunden hatten, ohne dass die USA hier einen unmittelbaren ökonomischen Vorteil erwarten konnten.
In diesem Sinne gestaltete Trump auch die Verträge, die er Selensky vorlegte. Obwohl Selensky die erste Fassung zurückwies, stimmte er schliesslich einer nur unwesentlich abgeschwächteren Form zu. Denn hier hatte er erstmals erkannt, dass er out of the game zu drohen geriet, wenn er Trump nicht besänftigte, und dieser weiter auf Russland und seine recht entspannten Beziehungen zu Putin setzte. Die ersten Kontakte hatten ihm gezeigt, dass Trump auch bereit war, über Selensky´s Kopf hinweg Entscheidungen zu treffen. Dabei war der „Deal“ unter zwei Gesichtspunkten für die Ukraine schlecht:
- Selensky erkannte faktisch an, dass die bisherigen Hilfen der USA lediglich ein Kredit sei, der zurückgezahlt werden müsse. Dies hätte mit einem Schlag die Staatsverschuldung der Ukraine um nahezu 200 Milliarden EUR erhöht und die ukrainische Kreditwürdigkeit auch über einen Friedensschluss hinaus schwer belastet. Auf Jahrzehnte hinaus müsste das Land einen erheblichen Teil seines Brutto-Inlandsproduktes, welches bereits 2021 lediglich bei rund 5.000 Dollar pro Kopf lag, an die USA abführen.
- Der Rohstoff-Vertrag würde die Kontrolle über die Bodenschätze der Kontrolle der USA unterstellen und damit die Ukraine in eine Abhängigkeit von Washington führen. Dies würde auch die Handelsbeziehungen zu anderen Staaten, insbesondere der EU betreffen.
Zur Vertragsunterzeichnung kam es schliesslich nicht. Dies lag aber weniger daran, dass Selensky die Gefahr für die langfristige Perspektive für sein Land erkannte, sondern dass ihn Trump (und J.D. Vance) ihn im Weissen Haus in einmaliger Weise vorführten und er auch hier sich nicht auf Trump einliess, sondern Paroli geben wollte. Hier kann es letztlich dahingestellt bleiben, ob der Eklat von Trump und Vance geplant oder nur billigend in Kauf genommen wurden. Für den U.S.-Präsidenten bedeutet dies jedoch, dass Selensky ein unsicherer Kantonist ist und er nicht mehr auf ihn zählt, vielmehr alles unternimmt und eine Ablösung unterstützen wird. Dies wird zunächst wohl darin bestehen, dass die Unterstützung in der militärischen Aufklärung reduziert oder ganz aufgelöst wird. Während Trump hier mit Putin weiterverhandelt, werden die Ukraine und die EU-Staaten von den Verhandlungen wohl ausgeschlossen, die Militär- und Wirtschaftshilfen ausgesetzt und insgesamt die Ukraine gezwungen, einen Waffenstillstand zu akzeptieren.
Selensky hätte hier bereits frühzeitig – 2023 – umsteuern können. Trump wird nunmehr die Position, die seine Regierung hat, bis auf das Maximale ausreizen und dabei auch die Interessen der Ukraine schlicht übergehen.
Wie kann eine Friedensregelung aussehen?
Lange Zeit haben die Waffenlieferungen aus der EU und den USA übertüncht, dass die Ukraine bereits aus strukturellen Gründen keinen Sieg erringen wird können. Russland hat nicht nur die grössere Zahl an Menschen und eine eigene erprobte Rüstungsproduktion, sondern wurde auch durch Truppen und Waffen aus dem Ausland unterstützt. Und im Gegensatz zur Ukraine wurde die Infrastruktur und die industriellen Kapazitäten Russland nahezu nicht beeinträchtigt. Die Sanktionen konnten der Kriegswaffenproduktion und den Lieferungen aus dem Land wenig anhaben.
Hinzu kommt: Wolodomir Selensky hat zahlreiche falsche Entscheidungen getroffen. Die Einnahme eines Teils des Kursker Bogens war nicht mehr als eine PR-Aktion. Bereits wenige Monate hatte die Ukraine dieses Gebiet nahezu wieder vollständig verloren. Das eigentliche Problem daran war jedoch, dass er seiner Armee in der Ukraine dringend benötigte Reserven an Truppen, Waffen und Material entzogen hat und Russland dort weiter in das Land vorgedrungen ist. Putin wurde damit zwar gedemütigt, am Ende hat er aber den Sieg davon getragen und wurde maximal in seinem Vormarsch in der Ukraine verlangsamt.
Wenn Präsident Trump Selensky deshalb versucht klar zu machen, dass er keine Karten in der Hand hält, dann mag dies für Selensky und seinen Fanclub bitter, aber eben die Realität zu sein. Er muss deshalb an einem raschen Ruhen der Waffen interessiert sein. Selensky, der bislang ganz klar von einer sofortigen Friedensregelung mit einem vollständigen Rückzug Russlands ausgeht, wird hier in einen erheblich sauren Apfel beissen müssen: Der Waffenstillstand wird darauf hinauslaufen, dass der Konflikt zwischen beiden Staaten lediglich eingefroren wird. Für die Ukraine wäre dies dennoch ein Gewinn:
- Die Menschen in der Ukraine können zu einem relativ normalen Alltag zurückkehren und brauchen keine Angst vor Raketenangriffen zu haben. Auch wenn für viele Menschen die beständigen Gänge in die Luftschutzbunker zwischenzeitlich zum Alltag gehören, sind sie bereits eine mentale Belastung. Hinzu kommt die schiere Angst vor Tot und Zerstörung im engsten Umfeld.
- Das Land könnte seine Streitkräfte deutlich reduzieren. Derzeit stehen rund eine Million der 36 Millionen Staatsbürger unter Waffen, weitere 3 Millionen sind in andere Länder geflüchtet. Allein die Unterhaltung der Armee kostet das Land einen erheblichen Anteil am Bruttosozialprodukt. Diese Staatsbürger in Uniform könnten in das Zivilleben zurückkehren und anstatt Wirtschaftskraft abzuziehen wieder einen Beitrag zur Wirtschaftskraft leisten.
- Die massive Zerstörung der Infrastruktur hätte ein Ende und die Produktionskapazitäten könnten wieder stabilisiert werden. Damit würde die Ukraine unabhängiger von ausländischen Hilfen, die derzeit allein auch für den laufenden Haushalt unerlässlich sind, da die eigenen Steuereinnahmen bei weitem nicht ausreichen, um den Staatsapparat auch nur annährend zu finanzieren.
Selensky müsste sich an dieser Stelle jedoch eingestehen, dass er die Gebietseroberungen Russlands zumindest auf dem Schlachtfeld wird nicht rückgängig machen können, im Gegenteil eher weiteres Gelände verlieren würde.
Eine Waffenstillstandsvereinbarung würde jedoch in einem Punkt zwingend die Nato benötigen: Der Garantie der Waffenruhe. Potenziell würde Russland dabei auch andere Staaten wie China und andere BRICS-Staaten einbeziehen wollen. Über einen UN-Beschluss oder eine Einladung in der Waffenstillstandsvereinbarung wäre dies auch möglich und sinnvoll. Allerdings müsste sich die Nato hier zu einem Handeln bereitfinden, was sie bislang immer vermieden hat und womit der Krieg wohl hätte sogar vermieden werden können: eine robusten Garantieerklärung für die Ukraine, die auch vor dem Einsatz militärischer Mittel nicht zurückschreckt.
Sicher, die Forderung Russlands wird die Aufhebung der Sanktionen sein. Dass diese bereits bislang löchrig waren, spielt Moskau hier ebenso in die Hände wie die Tatsache, dass die meisten Unternehmen gerne auch ganz offiziell an die Moskwa zurückkehren würden. Die EU würde sich somit auch selbst helfen.
Die Ukraine kann damit bereits die Zeiten bis einem Friedensvertrag nutzen, dass eigene Land wieder aufzubauen und in die Normalität zurückführen. Dabei geht es dann auch um die Stabilisierung der demokratischen Institutionen. Einerseits ist die Amtszeit von Selensky und dem Parlament bereits abgelaufen. Dieses in einer Kriegszeit ausnahmsweise hinnehmbare Demokratiedefizit lässt sich damit aus dem Weg räumen. Selensky müsste jedoch auch die repressiven Massnahmen gegen zahlreiche seiner politischen Gegner beseitigen.
Wie aber sähe an dieser Stelle eine Friedensregelung aus?
Dabei spielen zwei Komplexe eine zentrale Rolle: die Zukunft der besetzten ukrainischen Territorien und die europäische Sicherheitsordnung.
Es dürfte dabei eines klar sein: in einer Friedensregelung wird es nur um die Gebiete auf dem Festland gehen. Die Krim wird nicht mehr zur Diskussion stehen und uneingeschränkt Teil Russlands bleiben. Putin spielte hier nicht nur die Volksabstimmung und die Zustimmung der Krim-Bevölkerung eine Rolle, sondern auch die Zeit. Die Halbinsel ist seit rund 10 Jahren Teil Russlands und hat seine Beziehungen auf die Moskauer Zentralregierung ausgerichtet. Die Ukraine spielt hier keine Rolle mehr.
Die Gebiete im ukrainischen Osten und Süden, die derzeit unter russischer Kontrolle stehen, sind hier anders zu beurteilen. Eine entscheidende Rolle spielt hier, dass auch die Regierungen in Kiew sich nicht an die Minsker Vereinbarungen gehalten haben und der dortigen Bevölkerung jegliche Artikulationsmöglichkeiten geraubt haben. Auch deshalb gab es in Luhansk und Donezk nur mässigen Widerstand gegen die Ausrufung der Volksrepubliken und die Etablierung autokratischer Regime. Die weiteren russischen besetzten Gebiete bis kurz vor die Schwarzmeer-Metropole Odessa haben hier einen anderen Status. Allen diesen Regionen ist aber eines gemeinsam: Sie werden von russisch-sprachiger Bevölkerung dominiert und die Beziehungen zu Russland sind hier durchaus stark. Gleichzeitig ist die Sichtweise der Bevölkerung nicht klar und es muss hier Ziel sein, dass Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu achten. Dies wäre dann nicht nur ein Signal an die Ukraine, sondern auch an Russland: spricht sich die Bevölkerung für einen Verbleib im ukranischen Staatsverband aus, kann auch Wladimir Putin und die russische Führung sich nicht ohne weiteres darüber hinwegsetzen. Hier gibt es Vorbilder wie das Kosovo, in dem sich insbesondere die EU für das Selbstbestimmungsrecht ausgesprochen hat. Und in der Volksabstimmung können beide Regierungen ihre Angebote einbringen.
Der zweite zentrale Punkt wird die Europäische Sicherheitsarchitektur sein, die nicht nur von Russland herausgefordert wird. Auch die USA machen seit Bill Clinton deutlich, dass die Europäer hier eine eigene Verantwortung haben – ohne dass die europäischen Staaten darauf reagiert hätten. Donald Trump beschleunigt diese Entwicklung lediglich, als dass er diese konzeptionell unterlegt hat.
Die Einbindung der Ukraine in die Nato-Strukturen ist hier nur ein eher ungeordneter Teil. Der Aufritt von Peter Hegseth im Nato-Rat am 13. Februar 2025 und J.D. Vance auf der Munich Security Conference am 14. Februar 2025 hat nunmehr eine hektische EU-Diskussion ausgelöst. Wird sie zu einem zielorientierten Ergebnis führen? Hier kann man pessimistisch sein, weil diese derzeit noch in erster Linie von einer Anti-Trump-Stimmung geprägt und damit eher destruktiv ist. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte in ihrem Mission Letter an Verteidigungskommissiar Kubilius zwar ein White Paper angekündigt. Aber bereits das Briefing lässt erahnen, dass hier wohl ein eher wenig visionäre Ansatz verfolgt wird – was auch an den schwierigen Entscheidungsprozessen in der EU liegt. Die Aussen- und Verteidigungspolitik ist zudem die Domäne der nationalen Regierungen.
Eine europäische Sicherheitsarchitektur ist hier nicht zwingend davon abhängig, dass der Verteidigungshaushalt der EU-Staaten insgesamt deutlich aufgebläht wird. Denn Sicherheitspolitik besteht neben der militärischen Komponente aus einem kohärenten politischen Handeln und der Fähigkeit, im Fall der Fälle rasch einen Aufwuchs von Kapazitäten sicherzustellen. Die militärische Komponente würde bereits dann Wirkung zeigen, wenn die Staaten der EU (potenziell gemeinsam mit den EFTA-Staaten) bereit wären, ihre Militärs stärker integrativ zu führen: kohärente Waffensysteme und insbesondere bei den kleineren Staaten die Konzentration auf bestimmte Truppenarten, so dass nicht überall alle Gattungen vorgehalten werden müssen zulasten einer robusten Verteidigungsfähigkeit.
Dies schliesst die Synchronisierung der Waffensysteme ein. Derzeit kauft jeder Mitgliedsstaat die Waffen für sein Militär nicht nur auf eigene Rechnung, sondern auch nach eigenen Vorgaben vorzugsweise im eigenen Land. Die Waffensysteme müssten deshalb bei einem Einsatz erst einmal synchronisiert werden und die dann aufzustellenden Kommandostrukturen damit umzugehen lernen. Eine europäische Sicherheitspolitik erfordert damit auch eine Synchronisierung der Beschaffung.
Ob dann die Ausgaben bei zwei oder drei Prozent liegen, ist dann auch nachrangig. Entscheidend wird sein, dass die Armee schlagkräftig ist. Ein Vorbild kann hier die israelische Armee sein. Denn auch wenn Israel einen wesentlich höheren Anteil des BIP für sein Militär ausgibt, ist dies eine Folge der Landesgrösse. Gemessen an der Schlagfertigkeit steht diese in keinem Verhältnis zu den finanziellen Aufwendungen und geht durch eine effizient-stringende Organisation weit über die finanziellen Gegebenheiten (30 Milliarden Dollar, 5.3 Prozent des BIP) hinaus.
Neben der militärischen Komponente spielt auch die politische Komponente eine wesentliche Rolle. Zwar stimmen sich die Vertreter der EU-Staaten bereits regelmässig ab. Aber es fehlt in strategischer Politikansatz, der die Interessen der EU-Staaten – bestenfalls kohärent mit den EFTA-Staaten – beschreibt. Dies bedeutet auch, eine kohärente Politik, die zwar opportunitätsgetrieben ist, aber strukturell nachvollziehbar und nicht unterschiedliche Standards setzt. Gerade hier ist die EU in die Glaubwürdigkeitsfalle getappt, denn während sie an einer Stelle die Verletzung von Recht und Gesetz duldet, lässt sie dies an anderer Stelle unkommentiert und unterstützt teilweise sogar die Politik des Violators. Daraus folgt auch, dass Konflikte in Europa auch in Europa zu lösen sind.
Erst nach Klärung dieser Frage steht die Mitgliedschaft der Ukraine in EU und Nato an. Bereits jetzt ist die Struktur der EU für eine Aufnahme zu überfordert und die Entscheidungsprozesse zu komplex, als dass sie durch einen zusätzlichen Akteur weiter verkompliziert werden dürfen. Die Aufnahme der Ukraine in beide Organisationen steht aber auch aus anderen Gründen nicht auf der Tagesordnung:
- Die Ukraine ist derzeit kein Land, welches territorial saturiert und frei von unseren Konflikten ist. Der territoriale Status – und hier sind die Gebiete im Osten gemeint und die Akzeptanz der Krim als Gebiet Russlands – ist eine klare Voraussetzung sowohl für eine Nato- wie eine EU-Mitgliedschaft. Eine vorzeitige Aufnahme würde unmittelbar dazu führen, dass EU und Nato zu Konfliktpartei würde und die Beistandsverpflichtungen ausgelöst wären. Es kann jedoch nicht Ziel sein, dass beide Organisationen sich aktiv Konflikte hereinholen.
- Die Nato-Mitgliedschaft, aber auch die Mitgliedschaft in der EU, setzt eine Auseinandersetzung mit Russland voraus. Die Grundlage des 2+4-Abkommens war, dass Sicherheitspolitik nur gemeinsam mit den russischen Interessen erfolgt und dass die Nato nicht an die russischen Grenzen heranreicht. Auch wenn die damaligen Akteure – Gorbatschow, Jelzin, Baker und Bush, Kohl und Genscher – bereits verstorben sind, haben sie für ihre Länder gehandelt und Glaubwürdigkeit bedeutet auch, sich an Zusagen zu halten.
Für die Abstimmung gab es die Strukturen mit den G8 und dem Nato-Russland-Rat. Sie wurden durch die westlichen Staaten geschleift, weil sie in einem Anflug von Arroganz glaubten, Russland sei schwach und man braucht es nicht mehr. Die Entwicklung im Ukraine-Krieg und die Stärkung der BRICS sollte diesen Irrtum langsam auflösen.
Dabei geht es auch nicht um eine Zustimmung zur Erweiterung beider Organisationen. Es geht vielmehr um die Etablierung einer Sicherheitsarchitektur, die tragfähig ist. Eine solche kann in Europa wie global nicht ohne Russland (und eigentlich auch nicht ohne China) etabliert werden.
- Die Ukraine muss grundlegende Reformen im inneren durchführen. Dies betrifft insbesondere die Strukturen und die Vorgehensweise des Staates, die noch nicht den Transparenzanforderungen genügen. Der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission war hier milde gestimmt aus politischen Gründen. Aber bereits jetzt ist klar, dass die Ukraine einer der grössten Netto-Empfänger sein wird. Nur strukturelle Reformen im Vorfeld innerhalb der Ukraine (wie auch in der EU selbst) können diese Leistungen reduzieren. Dies schliesst aber auch ein, dass das Rohstoffabkommen mit den USA so nicht Realität wird, denn hier ist neben den landwirtschaftlichen Produkten der grösste Rückfluss an die EU zu erwarten, die auch zu einer unabhängigeren Wirtschaft beitragen.
Erst bei einer Lösung dieser Fragen, die auch Teil der Friedensvereinbarungen zwischen der EU und Russland sein können, steht eine Mitgliedschaft der Ukraine in EU und Nato zur Entscheidung an.
Mit der Friedensregelung für die Ukraine steht aber auch eine strategische Entscheidung über die globale sicherheitspolitische Architektur an. Auch wenn die Ukraine eine europäische Angelegenheit ist und der Konflikt regional begrenzt, so hat er zwischenzeitlich globale politische Bedeutung. Insbesondere durch die Einschaltung Chinas und der anderen BRICS-Staaten wie auch den Umgang der westlichen Staaten mit diesen – sie eher als Feinde den als Partner oder Competitor – sind zwischenzeitlich auch weitere Staaten in die Lösung involviert. China wird als Lösungsinstanz zwingend gebraucht, da es die politische Verbindung zu Russland hat. Und die Türkei und Brasilien sind bereits als Vermittler aktiv gewesen und besitzen das Vertrauen beider Seiten, anders als die USA und die EU.
In diesem Zusammenhang wird dann auch über eine Sicherheitsgarantie für die Ukraine zu entscheiden kann. Das fehlende Vertrauen der ukrainischen Politik und Bevölkerung in die russische Führung ist nachvollziehbar. Und hier müssen sich insbesondere die europäischen Staaten bewegen. Ein robustes Mandat, in dem die Garantiemächte auch bereit sind mit Truppen einzustehen, ist unerlässlich. Dabei muss dieses Mandat gar nicht darin bestehen, mit den derzeit diskutierten über 160.000 Mann die Grenze unmittelbar zu schützen. Dies wäre zudem eher kontraproduktiv, um die russisch-ukrainischen Beziehungen wieder aufzubauen. Vielmehr geht es um die Einsatzfähigkeit und -willigkeit, die mit einer schnellen Verlegungsfähigkeit einhergeht.
Was eine eher geringere bis keine Rolle spielt werden Reparationen sein. Russland wird hier keine Zahlungen leisten und auch die in westlichen Finanzinstitutionen eingefrorenen Gelder werden von Russland zurückerwartet. Zudem handelt es sich hier auch in erheblichem Umfang um das Vermögen von Privatpersonen, der Konfiskation rechtlich bedenklich ist.